Die Rechte der Natur: Vom nachhaltigen Eigentum

Die Rechte der Natur: Vom nachhaltigen Eigentum

Organisatoren
Jacob Blumenfeld / Niklas Angebauer, Sonderforschungsbereich / Transregio 294, „Strukturwandel des Eigentums“, Projekt A06, „Die normativen Grundlagen des Eigentums“, Universität Oldenburg
Ort
digital (Oldenburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2021 - 03.12.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Jacob Blumenfeld / Niklas Angebauer, Institut für Philosophie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Verena Wolf, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wem gehört die Natur? Die ebenso einfache wie überraschende Antwort auf diese Frage lautet: Sich selbst! Das zumindest ist die zentrale These des neuen Buchmanuskripts „Die Rechte der Natur: Vom nachhaltigen Eigentum“ von TILO WESCHE (Universität Oldenburg), das im Rahmen eines Workshops von hochkarätigen Forscher:innen verschiedener Disziplinen ausführlich diskutiert wurde.

Der Ausgangspunkt des Buchprojekts ist eine einfache Beobachtung: Immer mehr Rechtsordnungen beginnen, die Natur als Subjekt (und nicht nur als Objekt) von Rechten zu betrachten. In Lateinamerika, Neuseeland, Indien und den USA gibt es bereits entsprechende Rechtsprechungen und Gesetzgebungen. Allerdings werden solche Rechte der Natur bislang meist im Rückgriff auf religiöse oder metaphysische Naturvorstellungen begründet, die nicht ohne weiteres auf andere Gesellschaften und Kontexte übertragen werden können. Dennoch, so Wesches These, haben auch säkulare Gesellschaften gute Gründe, die Natur als ein Rechtssubjekt zu betrachten. Um das zu zeigen, entwickelte er eine „nachmetaphysische“ Theorie der Rechte der Natur: Insbesondere das moderne Eigentumsrecht enthält demnach bereits implizite Annahmen, die – wenn man sie konsequent zu Ende denkt – ein Eigenrecht der Natur an ihren Ressourcen begründen. Die Natur gehört sich also selbst, und zwar aus Gründen, die sich aus der Eigenlogik des modernen Rechts ergeben.

Neun Kommentator:innen verschiedener Disziplinen (darunter Philosophie, Rechts- und Politikwissenschaft) hatten die Herausforderung angenommen, Wesches Projekt kritisch zu würdigen und seine Argumente auf Herz und Nieren zu überprüfen. Dabei wurde der zu Beginn formulierte Anspruch am Ende eingelöst: einen Diskursraum zu eröffnen, der thematisch breit angelegt ist, aber zugleich in die Tiefe geht und es ermöglicht, über die eigentumsrechtlichen Grundlagen einer sozial-ökologischen Transformation nachzudenken. Der Aufbau des Workshops orientierte sich an der Grundstruktur des Buches: In den drei Teilen kamen je drei Kommentator:innen zu Wort, gefolgt von einer Replik des Autors und einer je etwa einstündigen, stets lebhaften Diskussion.

Unter der Überschrift „Die Natur des Eigentums“ widmete sich das erste Panel der eigentumstheoretischen Grundlage von Wesches Argument. Im Mittelpunkt standen dabei insbesondere seine normative Rechtfertigung des Eigentums, seine Unterscheidung zwischen dem Eigentum an Sachen und dem an Gütern sowie sein Konzept des „liminalen“, also konstitutiv begrenzten Eigentums. AMELIE STUART (Erfurt) hinterfragte das Verhältnis von Moral und Recht in Wesches Eigentumstheorie; ACHIM SEIFERT (Jena) wies am Beispiel von Stiftungen differenziert nach, dass die Idee, nichtmenschliche Akteur:innen als Rechtssubjekte zu verstehen, längst gängige Praxis ist; und CHRISTIAN SCHMIDT (Berlin) brachte einige Paradoxien der freiheitlichen Darstellung des Eigentums zur Sprache.

Im zweiten Panel zum „Eigentum der Natur“ wurde insbesondere Wesches Argument diskutiert, dass der unhintergehbare Beitrag der Natur zu menschlichen Wertschöpfungsprozessen als hinreichender Grund dafür angesehen werden sollte, die Natur selbst als potenzielle Eigentümerin ihrer Ressourcen zu betrachten. STEFAN KNAUSS (Halle) beleuchtete kritisch einige zentrale Vorannahmen von Wesches Argument; JOHAN HORST (Berlin) gab zu bedenken, ob mit der Aufwertung der Natur zum Rechtssubjekt nicht zugleich problematische Eigenschaften subjektiver Rechte reproduziert werden; und JENS KERSTEN (München) – einer der wichtigsten Vordenker einer „ökologischen Revolution des Rechts“ – verwies bei aller Sympathie für die Ziele auch auf die Grenzen des Ansatzes, etwa hinsichtlich der Frage, was mit sozusagen „arbeitsloser“ Natur zu tun sei, d.h. mit Ökosystemen, die keine Dienstleistungen für die Menschen erbringen. Nach einer Antwort von Tilo Wesche entspann sich eine lebhafte interdisziplinäre Diskussion, die schließlich in der von Verena Wolf aufgeworfenen Frage mündete, wie eine Ausweitung von Eigentumsrechten ausgestaltet werden müsse, um nicht problematische Tendenzen der Kommodifizierung zu befeuern.

Diesen roten Faden konnte das dritte Panel aufnehmen. Hier ging es unter dem Titel „Nachhaltiges Eigentum“ um die Frage, wie ein Eigentumsrecht aussehen würde, das die Eigenrechte der Natur achtet – und wie genau eine solche sozial-ökologische Transformation vonstattengehen könnte. Als mögliche Alternative zu der von Wesche angedachten Kombination von Aktivismus und strategischer Rechtsentwicklung stellte FRANK ADLOFF (Hamburg) ein gabentheoretisches Paradigma für ein geläutertes Naturverhältnis in den Raum; JELENA BÄUMLER (Lüneburg) fragte nach dem angemessenen Platz der (Eigentums-)Rechte der Natur in der sozial-ökologischen Transformation; und RICCARDA FLEMMER (Hamburg) wies vor dem Hintergrund ihrer Arbeiten zu indigenem Widerstand gegen extraktive Industrien auf globale Zusammenhänge und Ausbeutungsstrukturen hin, die eine governance und Durchsetzbarkeit von Rechten der Natur mit sich bringen könnten. Besonders intensiv wurde die Frage nach den emanzipatorischen Akteur:innen diskutiert; insbesondere Formen der strategic litigation erwiesen sich als vielversprechendes (und bislang oft übersehenes) Handlungsfeld.

Die intensiven und konstruktiven interdisziplinären Debatten des Workshops machten deutlich, wie aktuell, verheißungsvoll und drängend die Frage von (Eigentums-)Rechten der Natur ist. Zugleich wurde klar, wie weitreichend die konzeptionellen, strategischen und politischen Folgen sind, die diese Transformation aufwerfen wird (und z.T. schon jetzt aufwirft). Insgesamt steht die Debatte über die Rechte der Natur hierzulande noch ganz am Anfang, nimmt aber – auch das machte der Workshop deutlich – aktuell kräftig an Fahrt auf.

Schon in der Manuskriptform erwies sich das Buchprojekt von Tilo Wesche – das als eines der ersten Forschungsergebnisse des jüngst angelaufenen Sonderforschungsbereichs „Strukturwandel des Eigentums‘“ gelten darf – als ein reichhaltiger Impulsgeber für diese Debatte. Man darf gespannt sein, welche weitergehenden Diskussionen die Monographie entfachen wird, wenn sie (voraussichtlich Ende 2022) erscheinen wird.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Tilo Wesche (Universität Oldenburg)

Panel I: Die Natur des Eigentums

Moderation: Jacob Blumenfeld (Universität Oldenburg)

Amelie Stuart (Universität Erfurt) – Achim Seifert (Friedrich-Schiller Universität Jena) – Christian Schmidt (Humboldt-Universität zu Berlin)

Panel II: Das Eigentum der Natur

Moderation: Niklas Angebauer (Universität Oldenburg)

Stefan Knauß (Universität Halle-Wittenberg) – Johan Horst (Humboldt-Universität zu Berlin) – Jens Kersten (Ludwig Maximilians Universität München)

Panel III: Nachhaltiges Eigentum

Moderation: Verena Wolf (Friedrich-Schiller Universität Jena)

Frank Adloff (Universität Hamburg) – Jelena Bäumler (Universität Lüneburg) – Riccarda Flemmer (Universität Hamburg)


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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